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Dissoziation und Verdrängung - Wie hängen diese Begriffe zusammen?

 

So gut wie jeder hat diesen Begriff zumindest schon einmal gehört: "Dissoziation". Aber was genau bedeutet er eigentlich? Was steckt dahinter? Und ist man automatisch psychisch krank, wenn man dissoziiert? Was hat Dissoziation mit der Verdrängung zu tun? Und wo findet sich der wissenschaftlich fundierte Beweis dafür, dass es Verdrängung wirklich gibt? Diesen Fragen werden wir in dem vorliegenden Beitrag auf den Grund gehen und hoffen, Ihnen dieses oft so komplex und unter Umständen auch beängstigend wirkende Thema näher zu bringen.



Was bedeutet der Begriff "Dissoziation"?

Wie viele medizinische Begriffe stammt auch dieser aus dem Lateinischen, genauer gesagt von dem Wort "dissociare", was soviel bedeutet wie "trennen, scheiden, entzweien". In der Psychologie meint man damit das Trennen bzw. das Auseinanderfallen von psychischen Funktionen, was bedeutet, dass in einem dissoziativen Zustand unsere Wahrnehmung, unser Fühlen, unser Denken und unser Handeln voneinander getrennt sind. Dabei gibt es verschiedene Ausprägungsgrade, von leichten nicht-krankhaften dissoziativen Zuständen, wie kurz "weggetreten" sein, bis hin zur schweren Form, der dissoziativen Störung, einem chronischen dissoziativen Zustand, mit unterschiedlichen Ausprägungsformen, bei der im Grunde genommen ein Identitätsbewusstsein nicht mehr vorhanden ist.



Kirschblüte  Psychosomatik

Dissoziation vs. Assoziation

Um die Dissoziation besser zu verstehen, kann es helfen, sich ihr Gegenteil, die Assoziation vorzustellen. Bei der Assoziation werden Gedanken, Eindrücke und Ideen miteinander verknüpft, d.h. man verbindet etwas miteinander. Bei der Frage, was man mit dem Begriff "Milch" assoziiert, würden viele wahrscheinlich sagen: "Kuh", "Kakao", "Proteine", "gesund", "weiß", "Joghurt", "Käse" "Weide" usw. Man verknüpft und verbindet etwas miteinander.

Bei der Dissoziation trennt man etwas voneinander, was eigentlich in einem integriert ist, wie das Bewusstsein, die Wahrnehmung, Gefühle, Gedanken. Dieser Zustand kann nur Sekunden oder Minuten dauern oder auch chronisch werden; er kann im gesunden Zustand vorkommen und bis zur psychischen Störung gehen.


 

Dissoziative Symptome im Alltag (ein Trance-ähnlicher Zustand)

Beinahe jeder hat schon einmal dissoziative Zustände im Alltag erlebt, das Gefühl, weggetreten zu sein, neben sich zu stehen, in seine Gedankenwelt "abzudriften", wenn wir uns in Tagträumen verlieren usw. In diesen Momenten fallen wir wie in eine Art Trance, unser Bewusstsein schaltet sich ab, wir bekommen nicht mehr wirklich mit, was um uns herum passiert, für einen kurzen Moment ist die eigene Wahrnehmung für sich selbst und für die Außenwelt nicht mehr im Einklang. Diese Zustände werden in unserer Gesellschaft als normal angesehen und im Gegensatz zur krankhaften Dissoziation können wir unsere Aufmerksamkeit meist problemlos wieder bewusst auf das Außen lenken und uns aus diesem Zustand herausholen.



Beispiele für alltägliche Dissoziationen


  • Bei Routinefahrten mit dem Auto verfallen wir in einen Automatismus und wissen hinterher nicht mehr genau, wie wir von A nach B gekommen sind.

  • Bei langweiligen Unterhaltungen oder unverständlichen Vorträgen schalten wir nach einer Weile ab, "klinken uns aus" und bekommen nicht mehr mit, was gesagt wird.

  • Wenn wir tagträumen, schicken wir unseren Geist auf Reisen.

  • Bei hochkonzentrierten Arbeiten blenden wir unsere Umwelt aus und bekommen auch Dinge wie unser eigenes Hungergefühl nicht mehr mit.

  • Wenn wir nicht mehr wissen, ob wir den Herd ausgestellt, das Licht ausgemacht oder den Schlüssel mitgenommen haben...



In all diesen Situationen handelt es sich um dissoziative Zustände, da unser verschiedenen Anteile nicht zusammen integriert sind, unser Kopf ist woanders als unser Körper. Wir bekommen nicht mehr bewusst mit, was um uns (oder auch in uns, wie das Hungergefühl) passiert. Wir sind nicht mit unserem vollen Bewusstsein im Hier und Jetzt, Außenstehende nehmen uns dann als "abwesend". Kommt dies häufiger vor, wirkt man "zerstreut", was bedeutet, dass man oft abgelenkt ist, sich nicht fokussieren kann, nicht präsent ist, weil das Bewusstsein nicht 100%ig im Hier und Jetzt ist. All diese dissoziativen Zuständen können als angenehm oder auch nicht so angenehm empfunden werden. So können diese Zustände wie schon gesagt bei Routinearbeiten auftreten, wenn man in eine Art Trance verfällt, aber auch, wenn man die Reize, die auf einen einwirken, in diesem Moment nicht verarbeiten kann und man sich "eine Auszeit" nimmt oder die Psyche etwas verarbeiten muss und man sich "in sich zurückzieht".



Dissoziative Symptome bei Belastungen

Dissoziative Zuständen treten häufig auf, wenn Menschen psychisch vorher schon belastetet sind, wie beispielsweise durch eine Depression oder Angststörung. Die dissoziativen Zustände sind dann häufig schwerer, dauern länger an und werden, im Gegensatz zu alltäglichen dissoziativen Zuständen häufig als unangenehm wahr-genommen. Auch wenn jemand eine plötzliche starke psychische Belastung erlebt wie einen Unfall oder einen Übergriff, kann es passieren, dass Betroffene das Ereignis "wie in einem Traum" wahrnehmen und sich später nicht an alle Details erinnern können. Häufig halten diese Symptome aber nicht längerfristig an und ein Teil oder auch die ganze Erinnerung an das Geschehene kommt zurück. Von einer dissoziativen Störung hingegen spricht man erst, wenn die Symptome sehr häufig und/oder über eine längere Zeit auftreten und dabei zu deutlichem Leiden und zu einer Beeinträchtigungen wichtiger Lebensbereiche führen.


 

Dissoziative Störungen sind eine weltweit anerkannte Erkrankung

Die Dissoziativen Störungen werden im ICD-11 der WHO (Welgesundheitsorganisation) unter dem Oberbegriff Belastungsstörungen zusammengefasst. Diese Einteilung gibt bereits einen Hinweis auf die Ursache der Dissoziationen: eine so starke Belastung, dass es zu psychischen Problemen kommt. Der ICD-Code ist ein weltweit anerkanntes System, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden. Dabei steht die Abkürzung ICD für "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems", auf Deutsch und in vereinfachter Form: "Internationale Klassifikation der Krankheiten". Dieses System wurde geschaffen, um medizinische Diagnosen und Behandlungen zu strukturieren und einheitlich benennen zu können. Auch wenn es immer noch Personen, darunter auch Ärzte und Therapeuten, gibt, die die Dissoziation anzweifeln, handelt es sich um eine valide, offizielle Diagnose.



Unterschiedliche Formen der Dissoziativen Identitätsstörung

Man unterscheidet die partielle dissoziative Identitätsstörung und das Vollbild der dissoziativen Identitätsstörung. Bei der partiellen Form gibt es ein Alltagsbewusstsein, das den Alltag meistert, und mehrere traumanahe Selbstzustände. Diese traumanahen Selbstzustände können verschiedene Anteile sein wie beispielsweise ein wütender Kind-Anteil oder Jugendlicher Anteil, die die Hauptpersönlichkeit zwar stark bedrängen können, aber meist im alltäglichen Leben, im sozialen Umgang mit anderen, im Hintergrund bleiben. Diese Anteile kommen dann meist erst zutage, wenn die Betroffenen für sich sind, z.B. zu Hause.


Bei dem Vollbild der dissoziativen Identitätsstörung gibt es mindestens zwei Anteile der Persönlichkeit die nebeneinander existieren und im Alltag agieren (neben den traumaähnlichen Zuständen). Sie interagieren völlig unabhängig voneinander und können sich gegenseitig nicht beeinflussen. Dabei ist es möglich, dass diese verschiedenen Selbstzustände jeweils mitbekommen, was der andere Anteil tut (ähnlich wie in einem Traum), ohne eingreifen zu können, aber auch, dass es zu einer Amnesie kommt und man keinen Zugriff auf die Erinnerungen des anderen Persönlichkeitsanteils hat. Früher nannte man diese Form "Multiple Persönlichkeitsstörung".



 

Dissoziative Amnesie

Eine Ausprägungsform der Dissoziation ist die dissoziative Amnesie, was bedeutet, dass die Betroffenen Gedächtnislücken haben, für die es seelische Ursachen gibt. Die dissoziative Amnesie ist somit ein Gedächtnisverlust, der durch Stress oder Traumata bedingt ist. Diagnostiziert wird die Störung aufgrund verschiedener Symptome, nachdem durch Untersuchungen andere Ursachen ausgeschlossen werden können. So können sich Betroffene z.B. nicht an wichtige persönliche Informationen erinnern, die sie normalerweise nicht vergessen würden und diese im Zusammenhang mit dem Trauma oder der Belastung stehen.


Amnesie

Bei einer Amnesie sind Betroffene komplett oder teilweise nicht mehr dazu in der Lage, sich an jüngste Ereignisse oder solche, die schon Jahre zurückliegen, zu erinnern. Wenn eine Amnesie durch psychische statt durch allgemeine medizinische Störungen hervorgerufen wurde, nennt man sie dissoziative Amnesie. Wenn wir uns nicht mehr an eine Sache erinnern können, z.B. ob wir das Licht ausgemacht haben, dann, weil wir nicht mit dem ganzen Bewusstsein bei der Sache waren. In besonders traumatischen Situationen, die für die Psyche schwer zu ertragen sind, trennt sich das Bewusstsein ebenfalls ab und man erinnert sich nicht mehr an das traumatische Erlebnis, weil man nicht mit dem Bewusstsein dabei war. Diese Erinnerungslücken können sogar Jahrzehnte betragen.



Amnesie und Verdrängung:

Der Begriff der Verdrängung geht auf Sigmund Freud zurück und beschreibt den Umstand, dass besonders belastende und traumatische Erlebnisse vom Bewusstsein abgespalten und ins Unterbewusstsein verschoben, mit dem Ergebnis, dass man sich nicht mehr bewusst erinnern kann. Die Verdrängung dient damit als Schutzmechanismus, um die Psyche vor den Auswirkungen einer besonders traumatischen Situation zu bewahren. Je stärker die Belastung, desto stärker die Verdrängung. Somit beschreiben die Verdrängung und die Amnesie im Grunde den gleichen Zustand.




 

Besonders belastende Ereignisse, die zu einer Verdrängung und auch zu einer dissoziativen Amnesie führen können, sind traumatische Erlebnisse wie Gewalt, häufig sexualisierte Gewalt, in der Kindheit. Auch wenn das Erlebte nicht aktiv im Bewusstsein abrufbar ist, so wirkt sich das Trauma dennoch häufig auf das Verhalten oder die Gefühlswelt aus. So kann es z.B. vorkommen, dass man Orte meidet, die den Orten ähneln, an denen die Übergriffe passiert sind, auch wenn man nicht erklären kann, warum dies so ist.



Eine Therapie ist bei Betroffenen von Dissoziativen Störungen unumgänglich, um das Trauma oder den Konflikt, der die Störung verursacht hat, zu verstehen, um Lösungswege zu finden und auch zukünftige Traumatisierungen zu vermeiden. Das Ziel ist dabei, eine dauerhafte Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen.




Wir hoffen, mit diesem Beitrag einen Einblick in dieses wichtige Thema gegeben zu haben. Für weitere Fragen stehen wir gerne jederzeit zur Verfügung:


E-Mail: info@berliner-heilpraktiker-fachschule.com


Quelle: Wix Mediathek & Unsplash (Fotos)


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